Veranstaltung: | Bundesrat Herbst 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 03 Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesleitung |
Antragshistorie: | Version 2 |
Freiwilligkeit statt Zwang – Gegen den allgemeinen Pflichtdienst und für eine starke Engagementkultur!
Beschlusstext
Zurzeit wird in Deutschland darüber diskutiert, ob es einen Pflichtdienst für
alle jungen Menschen geben soll. Das würde bedeuten, dass junge Menschen nach
der Schule eine bestimmte Zeit im Militär, in einer sozialen Einrichtung oder an
anderen Orten arbeiten müssten. Als Katholische junge Gemeinde (KjG) sprechen
wir uns entschieden gegen einen solchen Pflichtdienst aus. Wir sind überzeugt,
dass ein solcher Pflichtdienst die persönliche Freiheit junger Menschen
einschränken und bestehende soziale und geschlechterbezogene Ungerechtigkeiten
verschärfen würde. Stattdessen möchten wir die Freiwilligendienste und die
Möglichkeit junger Menschen, selbst über ihr gesellschaftliches Engagement zu
entscheiden, stärken.
Wir sprechen uns entschieden gegen den Pflichtdienst aus:
- Selbstbestimmung: Jeder Mensch sollte selbst entscheiden dürfen, was er
nach der Schule machen möchte. Ein Pflichtdienst zwingt junge Menschen
dazu, eine Aufgabe zu übernehmen, die sie vielleicht nicht wollen. Das ist
ein großer Eingriff in die persönliche Freiheit und schränkt damit die
Zukunftsperspektiven junger Menschen ein. Ein Pflichtdienst widerspricht
den Freiheits- und Grundrechten und sogar der Europäischen
Menschenrechtskonvention. Nach dieser darf niemand gezwungen werden,
Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.
- Freiwilliges Engagement statt Zwang: Wir sind davon überzeugt, dass junge
Menschen ihr volles Potenzial entfalten können, wenn sie sich aus eigenem
Antrieb engagieren. So ergeben sich nachhaltige Anreize für freiwilliges
gesellschaftliches Engagement über die Zeit des Freiwilligendienstes
hinaus. Es existiert bereits eine breite Palette an Möglichkeiten für
freiwilliges gesellschaftliches Engagement, wie das Freiwillige Soziale
Jahr (FSJ) oder der Bundesfreiwilligendienst (BFD). Statt junge Menschen
zu einem verpflichtenden Dienst zu zwingen, sollten diese freiwilligen
Angebote ausgebaut und stärker gefördert werden, anstatt sie wie seit 2024
sogar noch zu kürzen.
Ein Pflichtdienst kann im Vergleich zum Freiwilligendienst demotivierend
wirken. Wer gegen seinen Willen zu einem Dienst verpflichtet wird, könnte
im weiteren Leben das Gefühl haben, seinen Beitrag zur Gesellschaft
bereits geleistet zu haben, was sich negativ auf das Ehrenamt auswirken
kann.
- Mögliche Verschlechterung der Rahmenbedingungen: Wir befürchten außerdem,
dass ein Pflichtdienst zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in
Einsatzstellen und der pädagogischen Betreuung durch Träger*innen führen
könnte. Dies könnte das Interesse und die Motivation junger Menschen, sich
in diesen Bereichen erneut zu engagieren, weiter verringern.
- Gleichberechtigung: In der Vergangenheit wurden nur Männer zum
Militärdienst verpflichtet, was eine klare Ungleichbehandlung darstellte.
Als KjG kämpfen wir dafür, dass niemand aufgrund seines Geschlechts
benachteiligt wird und zwanghafte Rollenzuordnungen abgebaut werden. Ein
Pflichtdienst könnte jedoch alte Stereotype verstärken, indem Männer
vermehrt für militärische Aufgaben und Frauen für soziale Dienste
eingeteilt bzw. eingezogen werden. Diese starren Rollenbilder
widersprechen dem Prinzip der Gleichberechtigung. Gleichzeitig wäre es
unfair und unsolidarisch, nur junge Menschen ab 18 in die Pflicht zu
nehmen, um gesellschaftliche Missstände zu kompensieren.
Gleichberechtigung bedeutet, dass alle Menschen unabhängig von Geschlecht
oder Alter dieselben Chancen haben sollten.
- Keine Lösung für den Fachkräftemangel: Es wird häufig argumentiert, ein
Pflichtdienst könne den Fachkräftemangel in sozialen und pflegerischen
Berufen lösen. Die Realität sieht jedoch anders aus: Bereits heute
engagieren sich jährlich etwa 100.000 junge Menschen freiwillig in diesen
Bereichen - mehr als zu Zeiten des Zivildienstes. Ein Pflichtdienst
hingegen würde nicht nur die enorme Herausforderung mit sich bringen, für
500.000 junge Menschen passende Tätigkeiten zu finden, sondern auch die
Neutralität des Arbeitsmarktes gefährden. Anstatt auf Zwang zu setzen,
benötigen soziale Berufe vor allem eines: bessere Bezahlung, gute
Arbeitsbedingungen und echte Anerkennung. Wenn Aufgaben in diesen
Tätigkeitsfeldern mit Zwang verknüpft werden, besteht die Gefahr, dass sie
in der öffentlichen Wahrnehmung an Wert verlieren, was den ohnehin
bestehenden Fachkräftemangel weiter verschärfen könnte.
- Eine internationale Perspektive: Der derzeit von der Politik angedachte
Pflichtdienst in Deutschland konzentriert sich vorwiegend auf nationale
Dienste. In einer Welt, die immer mehr zusammenwächst, sollten wir nicht
auf nationale Pflichtdienste setzen, sondern junge Menschen ermutigen,
sich auch international zu engagieren. Programme wie z.B. Weltwärts, bei
denen junge Menschen freiwillig in anderen Ländern helfen können, fördern
den Frieden und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Kulturen.
Deshalb fordern wir:
- Die Stärkung und den Ausbau von Freiwilligendiensten, um ausreichend
Einsatzplätze zu schaffen und das Engagement für junge Menschen
attraktiver zu gestalten.
- Einen Rechtsanspruch auf Freiwilligendienst, damit jeder junge Mensch die
Möglichkeit hat, einen Freiwilligendienst zu leisten. Überall dort, wo
(junge) Menschen, Einsatzstellen und Träger sich auf den Abschluss einer
Freiwilligendienst-Vereinbarung einigen, ist diese durch den Bund
auskömmlich zu fördern. Dabei müssen unterschiedliche Förderansätze wie
zum Beispiel zwischen FSJ und BFD, die die aus der Zivilgesellschaft
hervorgegangenen Jugendfreiwilligendienste benachteiligen, abgeschafft
werden.
- Ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld auf BAföG-Niveauund
kostenlosen Zugang zum ÖPNV, damit Freiwillige nicht durch finanzielle
oder strukturelle Hürden benachteiligt werden und ihre Einsatzstelle ohne
zusätzliche Kosten erreichen können.
- Die Stärkung vielfältiger Einsatzfelder in Freiwilligendiensten, die von
sozialen über ökologische bis hin zu kulturellen und internationalen
Bereichen reichen, um den Interessen und Talenten junger Menschen gerecht
zu werden.
- Die stärkere Förderung einer qualifizierten pädagogischen Begleitung,
damit Freiwillige nicht nur praktische Erfahrungen sammeln, sondern auch
persönlich und fachlich wachsen können.
- Eine auffordernde Einladung und Beratung aller Schulabgänger*innen zu den
Möglichkeiten, sich in einem Freiwilligendienst zu engagieren.
- Die klare Ablehnung eines Pflichtdienstes, da Zwang dem Prinzip der
Freiwilligkeit widerspricht und die Qualität des Engagements gefährden
könnte.
Als KjG stehen wir zudem überzeugt hinter den Beschlüssen unserer Partner*innen:
- „Freiwilligendienste jetzt stärken!“ der DBJR-Vollversammlung 2020.
- „Freiwilligendienste sind ein dreifacher Gewinn – für die Freiwilligen,
für die Menschen in den Einsatzstellen und für die gesamte Gesellschaft,
national wie global." des Bundesarbeitskreises FSJ von 2023
- „Rechtsanspruch auf Förderung eines Freiwilligendienstes“ der BDKJ-
Hauptversammlung 2024
- „Freiwilligendienste 2030 - Vision für eine Kultur selbstverständlicher
Freiwilligkeit“ der verbandlich organisierten Zivilgesellschaft und
Zentralstellen der Freiwilligendienste im In- und Ausland